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Wir müssen uns nun fragen, was ist denn die biblische Vorstellung von Erkenntnis? In Kapitel B vollzogen wir die Änderung des Wirklichkeitsverständnisses von der Wirklichkeit zum Wirklichen. Die Offenbarung Gottes als der Wirkliche ist uns zur Quelle der Erkenntnis geworden. Ist das Erkenntnisproblem nun verschwunden? Wir werden jedoch feststellen, dass die Auslegung der Schrift einige Schwierigkeiten bietet. Denn auch hier müssen wir uns fragen, wie denn eine Offenbarung bei uns ankommt.
Das wesentliche ist dabei der biblische Erkenntnisbegriff. Wie haben die Schreiber des NT und des AT gedacht, was war ihre Denktradition? Während das AT in hebräisch geschrieben ist, ist das NZ in griechisch verfasst. Wir richten unsern Blick aufs NT. Das dort verwendete griechisch(Koinè) entspringt der Umgangsprache und nicht der Welt der Philosphen. Daher kann man feststellen, das NT ist griechisch geschrieben, gedacht aber ist es in hebräisch. Die Schreiber waren Juden die sich in der gängigen Sprache an das Volk wandten. Das Koiné griechisch unterscheidet sich also vom griechischen der Landesphilosophen. Hebräische und griechische Herangehensweise an das Erkennen der Wirklichkeit ist unterschiedlich. Darin ist auch eine verschiedene Vorstellung von Kultur und der Sichtweise von Gott beinhaltet. Jede Kultur wird verständlich, wenn wir die Sprache studieren. Wie sahen die Hebräer die Begriffe, wie sahen sie die Griechen. Wollen wir das NT entdecken, respektive die Begrifflichkeit verstehen, müssen wir die griechischen Wörter durch ein hebräisches Denken entschlüsseln. Dabei sei darauf hingewiesen, das ein ganzes Abendland ihre Wurzeln der Denkkultur im antiken, philosophischen Griechenland hat. Unsere Sprachentwicklung verdanken wir dem griechischen Denken. So ist es für unser Thema, den biblischen Erkenntnisbegriff zu erforschen, gegeben, auf ihre eigene Denkkultur zurückzugreifen. Dabei ist es das wesentliche Merkmal des hebräischen Denkens im Bereich des Erkennens der Wirklichkeit von lebendigen Beziehung auszugehen, während der Grieche die Sachbezogenheit betont, also ein erkennen oder untersuchen von statischen Seinszuständen praktiziert.
Hebräische Sichtweise:
gr. nous=Verstand, Vernunft
hebr. byna, sekäl
Der Sitz des Verstandes, der Vernunft. Er sei im Bereich des Herzens. Also das griechische Wort nous für Verstand ist hebräisch zu deuten.
Dies schreibt der Hebräer dem nous zu:Das Denken, Fühlen, Wollen und Handeln; Urteilsfähigkeit, Handlungsausrichtung und Denkvermögen
Griechische Sichtweise:
griechisch gnosis=Erkenntnis
hebr. yada
Die Griechen vertreten das distanznehmende Hinsehen. Dabei verabscheuen sie aisthanesthai, die unreflektierte Wahrnehmung und dokein, die unsichere Meinung. Alles geht vom denkerischen Verstehen aus.
Westliche Sichtweise:
Der Verstand ist der Sitz des Intellekts. Das Verstehen ist prägende Kraft im werdenden Leben. Dabei ist Verstehen die denkerische Erfassung eines Sachverhaltes.
Somit ist die Basis der vorurteilslosen Forschung im denken der Griechen ersichtlich. Der Forscher ist angehalten, eingene Bezüge zum Erkenntnisobjekt auszuschalten.
Nun zum hebräischen Gebrauch des Begriffs erkennen:
Er ist dreiteilig: die Person-, Sach-, Gotteserkenntnis.
Dabei aber sucht der Hebräer nicht das immer bessere Verstehen des statischen So Seins der Wirklichkeit, sondern schaut aus nach der Art und nach dem Mass der Beziehung der Wirklichkeit zu Gott und Mensch. Dazu haben wir das AT und das NT, die Bezogenheit der Dinge auf Gott zu erkennen und wir sind aufgefordert in der Schrift zu forschen. Wir sollen uns einlassen auf das Erkenntnisobjekt, eine wirkliche Begegnung zulassen. Als Jesus seine Jünger berief, versammelte er sie nicht zu einer Art Philosophenschule, wo es darum ging ein immer besseres Erkennen der Sache zu erringen, sondern er berief sie in seine Nachfolge. Er war das Vorbild nachdem sich die Jünger richten sollten. Und dies geschah durch tägliche Begegnung untereinander. Wir können also sagen, Erkenntnis im biblischen Sinn beginnt im Anerkennen des Anspruches Gottes. Der Anspruch Gottes auf unser Leben als Startschuss, im biblischen Sinn Erkenntnis zu erlangen. Wir lassen uns auf Gott ein und lassen sein Reden in unser Leben ein. So gelangen wir wieder zum Sitz des hebräischen nous, dem Herzen. Gott anzuerkennen ist eine Herzensangelegenheit. Der ganze Mensch ist herausgefordert, die Gefühle, den Willen, die hebräische Sichtweise im eigenen Leben umzusetzen. Das heisst konkret, es geht nicht darum um von Gott zu lernen besser hinzusehen und dabei das Denkvermögen zu schulen, sondern ihn anzuerkennen bedeutet als nächster Schritt dass wir handeln. Auf Gott einlassen und handeln sind zwei Schritte, gehen aber eng Hand in Hand. Das heisst aber auch, Verweigern wir uns ihn anzuerkennen, sind wir auch nicht bereit zu handeln.
Als Fazit halten wir als das Wesentliche eines biblischen Erkenntnisbegriffs vier Punkte fest:
1.Personerkenntnis anstatt Sacherkenntnis
2.Einlassen statt distanznehmendes Hinsehen
3.Anerkennen des Anspruches Gottes
4.Handlungorientierung